Unsere Geschichte

Die Geschichte des Netzwerks der Geburtshäuser ...

ist zugleich die Geschichte der gesetzlichen Verankerung der Geburtshäuser in der Bundessozialgesetzgebung und des Ringens um die Übernahme der Betriebskosten durch die gesetzlichen Krankenkassen. Sie ist ein hervorragendes Beispiel für eine konstruktive Zusammenarbeit der verschiedenen Interessenvertretungen der Hebammen, der Krankenkassen, des Bundesgesundheitsministeriums und der politischen Vertretungen im Bundestag.

Sie verdeutlicht darüber hinaus, wie zäh und langwierig Veränderungsprozesse sind, vor allem im Gesetzgebungsbereich, und wie wichtig es ist, Bündnisse zu schließen und sich der Unterstützung der Betroffenen, der Frauen und Eltern, zu versichern.

Das alles hätte nicht erreicht werden können ohne die Vision, die Begeisterung, den langen Atem und den Glauben der Frauen und Mütter der ersten Jahre an die Machbarkeit des scheinbar Unmöglichen, an die Veränderbarkeit scheinbar so festgefügter Systeme.

 

Wie alles begann:

Bereits seit den siebziger Jahren gibt es erste gedankliche und praktische Veränderungen in der Geburtshilfe, eingeleitet von der Frauenbewegung, von Geburtsvorbereiterinnen wie Sheila Kitzinger oder Hannah Lothrop, aber auch die Ärzte F. Leboyer und M. Odent tragen dazu bei.


Das Stillbuch von Hannah Lothrop

Anfang der achtziger Jahre wachsen im Rahmen der gesundheitsorientierten Frauenbewegung auch in Deutschland Ideen für die Veränderung der Geburtshilfe. Bundesweit entstehen selbstorganisierte Frauen-Gesundheitszentren (FGZ), die Gesellschaft für Geburtsvorbereitung (GfG) und in der Folge Beratungsstellen für Schwangerschaft und Geburt - initiiert, aufgebaut und betrieben von Frauen verschiedenster Berufe, von Eltern, Betroffenen der damaligen Geburtshilfe und auch einigen wenigen Hebammen.


GfG Flyer

Viele Frauen damals sind unzufrieden mit der Gesundheitsversorgung und fordern vor allem eine frauenorientierte, ihre Selbstbestimmung respektierende und die Gebärkraft stärkende Geburtshilfe. Viele Hebammen dagegen sind anfangs genauso skeptisch wie die Ärzte, nur wenige von ihnen sind von der Richtigkeit dieser Ideen überzeugt.

So gründen Frauen, Mütter und Väter ihre eigenen Bildungs- und Beratungsstätten. Die Frauen der GfG und des FGZ in Frankfurt entwickeln Konzepte für eine andere Art der Geburtsvorbereitung, Rückbildung und Stillberatung und bilden Mütter als Geburtsvorbereiterinnen aus.

Damals sehen viele Hebammen die Geburtsvorbereiterinnen, Stillberaterinnen und Doulas als Konkurrenz und sind nicht bereit, über Forderungen der Frauen und inhaltliche Veränderungen nachzudenken. Der Hebammenverband (BDH -heute DHV) erreicht schließlich, dass die Kurse der Geburtsvorbereiterinnen u.a. von den Krankenkassen nicht mehr bezahlt werden. Es braucht etliche Jahre, bis ein Umdenken bei den Hebammen und die kooperative Zusammenarbeit mit den Betroffenen zur Normalität zu werden beginnt.

Die Frauen jedoch lassen sich nicht beirren und nach den Beratungsstellen gründen sie die ersten Geburtshäuser, Anfang der neunziger Jahre in der Regel in der Trägerschaft von gemeinnützigen Vereinen, verbunden mit der Forderung, eine respektvolle und die Frauen stärkende Geburtshilfe als ein gemeinnütziges Anliegen ins Bewusstsein der Gesellschaft zu bringen.

Wir haben es diesen Frauen, Müttern und Vätern und den wenigen überzeugten Hebammen von damals, ihrer Begeisterung, Zuversicht und ihrem visionären politischen Denken zu verdanken, dass es heute über 100 Geburtshäuser und unseren Berufsverband, das Netzwerk der Geburtshäuser gibt.

 

Wer waren die Frauen der ersten Jahre?


Bill & Hanne Beittel

Zuerst und vor allem muss Hanne Beittel genannt werden, die im Herbst 2018 verstorben ist. Stellvertretend für die vielen Frauen sollen Gabriele Kemmler (FGZ Frankfurt), Elisabeth Geisel (ENCA) und Ines Albrecht-Engel (GfG) genannt werden. Hebammen der Anfangsjahre sind zum Beispiel Doris Wepler (Berlin), Dorothea Kühn (Frankfurt), die ebenfalls bereits verstorben ist, und Monika Brühl (Bonn, damals Schledehausen).

Die Geburtshaus-Idee in Deutschland ist von Hanne Beittel initiiert worden, die in den USA die „free-standing birthcenter“ und die NACC, deren Netzwerk, kennengelernt hatte. Sie war die treibende und starke Persönlichkeit, die mit Begeisterung und Energie immer wieder ihre Mitstreiterinnen motiviert hat.  Sie wurde nicht müde, sich für die Vernetzung und die Zusammenarbeit aller Beteiligten einzusetzen und hat einen großen Anteil daran, dass die Berliner Frauen, Mütter und Hebammen nach der Beratungsstelle für Schwangerschaft und Geburt im Jahr 1987 ihr Geburtshaus für eine selbstbestimmte Geburt eröffnen konnten.


Flyer Berliner Geburtshaus für eine selbstbestimmte Geburt

Zu dieser Zeit gibt es bereits einige von Hebammen oder Ärzten geführte Geburtshaus-Vorläufer und noch einzelne stationäre Entbindungsheime. Das Neue und Besondere der Geburtshausbewegung ist jetzt jedoch der frauen- und gesundheitspolitische Anspruch einerseits und der Gedanke einer partner-schaftlichen Zusammenarbeit von betroffenen Frauen und Männern und Fachleuten andererseits.

Anfang einer europäischen Vernetzung


Plan Geburtshaus Gründung 1996

Zu Beginn der neunziger Jahre boomt die Gründung von Geburtshäusern. Das Berliner Geburtshaus und die Kontakt- und Beratungsstelle werden mit Gründungsanfragen überhäuft. Sie stellen ein Handbuch zur Gründung eines Geburtshauses zusammen und initiieren die Gründung eines Netzwerks zur Förderung der Idee der Geburtshäuser in Europa, um die Idee einer selbstbestimmten, frauenorientierten Geburtshilfe europaweit zu verbreiten und zu unterstützen. Mitglieder sind in der Mehrzahl Geburtshäuser und Gründungsinitiativen aus der Schweiz und Deutschland sowie einzelne Initiativen und Einzelpersonen aus Frankreich, Italien, Spanien, Belgien und Luxemburg.


Logo Netzwerk der Geburtshäuser in Europa

Das 1993 gegründete Netzwerk Europa richtet alle zwei Jahre eine europäische Tagung aus und die fachliche und strategische Zusammenarbeit der Hebammen aus Deutschland und der Schweiz ist in dieser Zeit sehr fruchtbar. Das Netzwerk Europa erhält viele Anfragen und Bitten um Unterstützung aus europäischen Ländern, in denen die außerklinische Geburtshilfe teilweise oder ganz verboten ist, z.B. Polen, Ungarn, Italien usw.


Gründung des Netzwerks der Geburtshäuser in Europa 1993 in Halle (Saale)

In Deutschland und der Schweiz kämpfen die Geburtshäuser zu dieser Zeit selbst noch um ihre rechtliche Anerkennung und ihr wirtschaftliches Überleben und haben daher wenig Kapazität, um die Eltern und Hebammen der anderen Länder wirksam unterstützen zu können. Sie gründen jeweils auf Landesebene Interessenverbände, um vor Ort ihre Existenz zu sichern. Das stärkt die Geburtshäuser in Deutschland und der Schweiz in ihrem Land, bewirkt jedoch das vorläufige Ende der aktiven Unterstützung und Zusammenarbeit mit den Hebammen und Geburtshaus-Initiativen in anderen europäischen Ländern.

 

Qualitätssicherung und Markenschutz

Von Beginn an stehen die Forderung nach Anerkennung der Geburtshäuser als Bestandteil der Basisbetreuung in einem gesundheitsorientierten System und die Qualität der geburtshilflichen Arbeit im Mittelpunkt der Netzwerkarbeit. Bereits in den Anfangsjahren des Netzwerks Europa legen die Geburtshaus-Hebammen großen Wert darauf, verbindliche Standards für ihre Arbeit zu schaffen. Diese sollen eine verbindliche Qualität für die betreuten Frauen sichern und gleichzeitig die Basis für eine rechtliche Anerkennung und finanzielle Sicherung der Geburtshausarbeit im öffentlichen Gesundheits-system schaffen. Die ersten Standards, ein Risikokatalog, die Grundlagen der heutigen Dokumentation und ein Vorläufer der Perinatalstatistik werden bereits vom Netzwerk Europa entwickelt.

Gleichzeitig besteht seit Beginn der Geburtshausbewegung der Wunsch, das „Geburtshaus“ als von Hebammen geleitete Einrichtung mit seinen Ansprüchen und Besonderheiten schützen zu können. Die Sorge, die Idee und die Marke „Geburtshaus“ könnte von Ärzten oder den deutschen Hebammenverbänden vereinnahmt werden, ist zu dieser Zeit sehr groß.


Leitlinien für Geburtshäuser 1998

Gleichzeitig sind die Netzwerk-Hebammen von Beginn an um die Kooperation mit den Hebammenverbänden bemüht. So werden die „Leitlinien für Geburtshäuser“ bspw. bereits 1998 gemeinsam mit dem BDH (heute DHV) und dem BfHD herausgegeben.

 

Verhandlungen über eine Einrichtung, die es gesetzlich nicht gibt ...

Die wirtschaftliche Situation der Geburtshäuser ist extrem unsicher. Da die Krankenkassen die Betriebskosten für den Geburtsbereich nicht oder nur im Einzelfall erstatten, müssen die Frauen für die Geburt im Geburtshaus einen hohen Eigenanteil zahlen. Geburt im Geburtshaus läuft Gefahr zum Luxusgut zu werden. Verhandlungen zur Kostenübernahme durch das 1999 gegründete Netzwerk zur Förderung der Idee der Geburtshäuser in Deutschland e.V. sollen diesen Zustand verändern.


Logo Netzwerk der Geburtshäuser in Deutschland

Einzelne Krankenkassen reagieren zunehmend positiv auf die Forderungen ihrer Versicherten, die Kosten für die Geburt im Geburtshaus zu erstatten. Die Securvita und die Techniker bieten die ersten vertraglichen Regelungen zur Erstattung der Betriebskosten an.

Das Bundessozialgericht lehnt jedoch die Übernahme der Betriebskosten für Geburtshäuser ab, da es dafür keine Rechtsgrundlage gibt. Die ambulante Einrichtung „Geburtshaus“ ist rechtlich nicht existent. Die damalige leistungsrechtliche Grundlage des § 197 Reichsversicherungsordnung (RVO) bezieht sich lediglich auf stationäre Einrichtungen, die Geburtshäuser arbeiten jedoch in der Regel ambulant. Konsequenz: Den Krankenkassen wird ein Vertragsabschluss mit Geburtshäusern verwehrt.

Es gehört zu den wichtigsten und weitreichendsten Entscheidungen der Netzwerk-Hebammen, von Beginn an ein eigenes Qualitätssicherungssystem zu entwickeln und verbindlich in allen Geburtshäusern zu installieren, um damit die Anerkennung im Gesundheitssystem und die Vergütung dieses Angebots zu erreichen. Es erweist sich zudem als sehr weitsichtig, ein eigenes System zu entwickeln, statt sich von anderen Professionen definieren zu lassen, und dabei gleichzeitig auf eine breite, kooperative Zusammenarbeit mit den Hebammenverbänden und den gesetzlichen Krankenkassen zu setzen.

Bereits im Jahr 2000 installieren die Geburtshäuser des Netzwerks eine Lenkungsgruppe und starten ein mehrjähriges Pilotprojekt zur Entwicklung des Qualitätsmanagementsystems für Geburtshäuser. Es sollte acht Jahre dauern, bis die Umsetzung realisiert ist und die Geburtshäuser der Pilotgruppe erfolg-reich zertifiziert werden.
Den Hebammen der Lenkungsgruppe, der Koordinationsstelle „Qualitätsmanagement“ sowie den Vorstandsfrauen des Netzwerks ist es zu verdanken, dass dieser lange Prozess auf den Weg gebracht wird und trotz aller Schwierigkeiten schließlich von Erfolg gekrönt ist.

 

Eine Vision, Geduld und Beharrlichkeit ...

Die konstruktive Zusammenarbeit mit Kooperations- und Verhandlungspartnern, professionelle Rechts- und Unternehmensberatung und vor allem die intensive Unterstützung und Mitarbeit der Geburtshaus-Hebammen führen schließlich zum Erfolg. Das Qualitätsmanagement der Geburtshäuser ist überzeugend. Das Netzwerk der Geburtshäuser und die Spitzenverbände der Krankenkassen reichen im Bundesgesundheitsministerium einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur Aufnahme der Geburtshäuser in das Sozialgesetzbuch ein mit dem Ziel, eine gesetzliche Regelung zur Erstattung von Betriebskosten für Geburtshäuser durch die gesetzlichen Krankenkassen zu schaffen. Ein umfangreiches und langwieriges Prüf- und Gesetzgebungsverfahren beginnt.

Gemeinsam entwickeln das Netzwerk der Geburtshäuser, die Koordinationsstelle der Berliner Geburtshäuser und die Hebammenberufsverbände (BDH, BfHD) einen Gesetzentwurf zur Überführung aller leistungsrechtlichen Regelungen bzgl. Schwangerschaft und Geburt aus der veralteten RVO in das neue SGB V. Der eingereichte Gesetzentwurf beinhaltet auch Regelungen zur Erstattung der Betriebskosten für Geburtshäuser. Das BMG und die Krankenkassen unterstützen das Netzwerk der Geburtshäuser im Gesetzgebungsverfahren.

Das BMG nimmt das Thema „Geburtshäuser“ in den Referentenentwurf zur geplanten Gesundheitsreform (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) auf. Nach mehreren Anhörungen im Gesundheitsausschuss und vier Lesungen stimmt der Bundesrat im Jahr 2007 schließlich dem Gesetzentwurf zu. Die Gesundheitsreform wird mit den heutigen Regelungen und Leistungsgrundsätzen für Geburtshäuser verabschiedet.
Die gesetzliche Verankerung der Geburtshäuser im Sozialgesetzbuch V als „Hebammengeleitete ambulante Einrichtung der außerklinischen Geburtshilfe“ ist ein unschätzbarer Erfolg.

Ein Jahr später, 2008, wird der „Ergänzungsvertrag über Betriebskostenpauschalen bei ambulanten Geburten in von Hebammen geleiteten Einrichtungen und die Anforderungen an die Qualitätssicherung in diesen Einrichtungen gemäß § 134 a SGB V“ zwischen dem Netzwerk der Geburtshäuser, den Hebammenverbänden und dem GKV abgeschlossen.

Auf der Basis des Ergänzungsvertrags erstatten die Gesetzlichen Krankenkassen eine Betriebskostenpauschale für ambulante Geburten in von Hebammen geleiteten Einrichtungen.

Die gesetzliche Verankerung der Geburtshäuser im Sozialgesetzbuch und die gesetzlichen Regelungen zur Betriebskostenpauschale sind politische Meilensteine in der Anerkennung der außerklinischen Geburtshilfe, auf die die Geburtshäuser des Netzwerks und die beteiligten Kooperationspartner zu recht stolz sind.

Heute ist das Qualitätssicherungssystem der Geburtshäuser etabliert und wird den Erfordernissen der Geburtshaus-Realität entsprechend weiterentwickelt.

 

Zukunft

Viele kluge und achtsame Vorstandsfrauen, Beirätinnen, aktive Hebammen und Geschäftsführerinnen von Geburtshäusern haben unser Netzwerk in kritischen und stürmischen Situationen über Klippen und Hürden hinweg geleitet und begleitet. Ihnen allen gilt unser Dank!

Inzwischen ist das Netzwerk der Geburtshäuser der Berufsverband, der konsequent und ausschließlich die Interessen der Geburtshäuser und der in den Geburtshäusern arbeitenden Hebammen vertritt. Heute geht es nicht mehr darum, ob Geburtshäuser eine Zukunftsperspektive haben, sondern wie sie ihre Zukunft gestalten. Auch dafür brauchen wir wieder Begeisterung, Zuversicht und visionäres  politisches Denken aller Beteiligten.


Torte zum 20. Jubiläum 2019

Das Netzwerk der Geburtshäuser in Deutschland feierte am 17. Mai 2019 sein 20 jähriges Bestehen – herzlichen Dank allen Mitstreiterinnen und herzlichen Glückwunsch!